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Franz Neumanns Buch Behemoth von 1942 machte deutlich, dass der nationalsozialistische Staat, der sich als total-einheitlich propagierte, in Wahrheit durch die planlose Konkurrenz mächtigster sozialer Cliquen oder Rackets gekennzeichnet war. Die Gesellschaft bricht auseinander in „diffuse barbarische Vielheit“ – ein Prozess, in dem die einheitliche souveräne Gewalt, sich auflöst in mehrere rivalisierende Machtgruppierungen, deren Beziehungen untereinander nur personal geregelt wurden.

Die Frage der Einheit in diesem „Unstaat“, die damit im Grunde aufgeworfen wurde, die Frage also, was an die Stelle des Souveräns trat; wodurch eigentlich die Rackets noch zusammenhingen, blieb allerdings bei Neumann weitgehend unbeachtet. Die Antwort findet sich in Adornos und Horkheimers Elementen des Antisemitismus, Raul Hilbergs Vernichtung der europäischen Juden und Moishe Postones Nationalsozialismus und Antisemitismus.

Alfred Sohn-Rethel wiederum konnte in seinen Analysen der Wirtschaftspolitik des Nationalsozialismus zeigen, inwiefern dessen Autarkiebestrebungen auf den Zerfall des Weltmarkts im Zuge der Weltwirtschaftskrise reagierten und zugleich Vorbereitung des Vernichtungskriegs waren. Soweit nun heute von Autarkiepolitik als „Katastrophenpolitik“ (Adorno) im politischen Islam gesprochen werden kann, die in Gestalt djihadistischer Rackets an die „barbarische Vielheit“ des Behemoth denken lässt, beruht sie im Unterschied dazu jedoch nicht auf einem Zerfall des Weltmarkts, sie koexistiert hingegen mit dessen weiterbestehenden Zusammenhängen und beruht auf dem Stellenwert von Erdölförderung und -handel innerhalb dieser Zusammenhänge. Im Unstaat der Islamischen Republik Iran hat sie inzwischen die für die Existenz Israels bedrohlichste Form angenommen.

Vortrag von Gerhard Scheit. Montag, 29. Oktober 2018 19:00 Uhr Depot, Breite Gasse 3, 1070 Wien