Update, Ausblick und Diskussion zum "Schlepperei"-Prozess
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Am 17. März 2014 begann die Verhandlung gegen acht Personen, die in Wiener Neustadt wegen dem Vorwurf der „Schlepperei im Rahmen einer kriminellen Vereinigung“ angeklagt sind. Weiteren Personen wird in gesonderten Verfahren Ähnliches Vorgeworfen. Schon nach weniger Zeit wurde die Verhandlung vertagt, da im Prozess immer deutlicher wurde, wie fadenscheinig und absurd diese Anklage ist, dass das Verfahren auf Basis eines nicht ernst zu nehmenden Aktes basiert, der nicht einmal für die Richterin tragbar scheint. In Wirklichkeit handelt es sich bei diesem Prozess um nichts anderes, als um einen erbärmlichen Versuch von der Polizei und der Justiz lautstarke Proteste mundtot zu machen und politischen Aktivismus zu kriminalisieren.
Ende Juli 2013 wurden nach monatelangen politischen Kämpfen mehrere Aktivisten der Refugee-Proteste abgeschoben. Die Protestbewegung, die ihren Anfang im November 2012 mit einem Marsch für Bewegungsfreiheit und bessere Bedingungen für Geflüchtete von Traiskirchen nach Wien genommen hatte und in den folgenden Monaten in der öffentlichen Wahrnehmung zunehmend in den Hintergrund gerückt ist, wurde dadurch wieder stärker sichtbar. Die Reaktion auf die Abschiebungen waren Demonstrationen und Blockadeaktionen vor dem Polizeianhaltezentrum Rossauer Lände und am Flughafen Wien-Schwechat, die Medien berichteten erneut über die Situation der Protestierenden.
Wenige Tage später schien die Stimmung jedoch zu kippen: Mehrere Personen wurden wegen dem Vorwurf der “Schlepperei im Rahmen einer kriminellen Vereinigung” festgenommen, einige von ihnen waren in der Refugee-Protestbewegung aktiv.
Kurz darauf bezeichnete Innenministerin Mikl-Leitner die Beschuldigten in einem Interview im Kurier als „beinharte Bosse der Schleppermafia“, unter anderem seien schwangere Frauen auf der Schlepper-Route einfach zurückgelassen worden. Ein Artikel in der Wiener Stadtzeitung Falter entkräftete kurz darauf die Vorwürfe. Eine Anfrage bei der Staatsanwaltschaft Wien hatte bereits damals ergeben, dass es weder auf die von Mikl-Leitner genannten Millionengewinne noch auf die geschilderten Grausamkeiten Hinweise gibt, die Akten enthalten dazu keine Angaben. Nichts desto trotz schrieben die Medien, was ihnen Innenministerium und Polizei vorplapperten und auch die Caritas verlautbarte auf rassistische Art und Weise, dass es sich bei den Beschuldigten um „schwarze Schafe“ handle. Der Protest war in ein schlechtes Licht gerückt, Polizei und Justiz waren bemüht das wankende Bild vom Rechtstaat wiederherzustellen und dabei ihre weiße Vorherrschaft zu sichern.
Die acht Angeklagten saßen ab Anfang August 2013 für sechs bis acht Monate in Untersuchungshaft. Diese wurde stets u.a. mit der rassistischen Begründung der „mangelnden Integration“ aufrechterhalten. Neben den 8 Personen wurden weitere Einzelpersonen unter dem gleichen Vorwurf verhaftet, ihnen steht ein gesonderter Prozess bevor. Kriminalisierungen unter diesem Paragraphen finden jeden Tag in allen Teilen Österreichs und der EU statt. Auf Grund der rassistischen und strukturell Ungleichen gesellschaftlichen Bedingungen sind davon meist Personen betroffen, die selbst einen prekären Aufenthaltsstatus haben.
Erst Ende März 2014 wurden alle acht Personen aus der Untersuchungshaft entlassen. Richterin und Staatsanwältin begründeten diese Entscheidung damit, dass eine Verlängerung angesichts der Tatsache, dass die Verhandlung länger dauern wird, als erwartet, „unverhältnismäßig“ wäre. Ein weiterer heuchlerischer Versuch eine noch größere Blamage für die Behörden zu umgehen. Selbstverständlich ist es erfreulich, dass nun alle Angeklagten aus der Haft entlassen sind und in relativer Freiheit auf den Fortgang und das Ende des Prozesses warten, aber klar bleibt: jede Sekunde im Gefängnis war eine zuviel! Seit den Enthaftungen hat sich die Medienrezeption erneut gewandelt. Punkte, die von Anwält_innen und solidarischen Gruppen seit Monaten angeprangert und von der Öffentlichkeit ignoriert wurden, scheinen plötzlich für alle klar zu sein: Dieser Prozess reiht sich ein in die Geschichte politischer Repression der Polizei in Kooperation mit der übermotivierten Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt. Die Beweislage entspricht keineswegs den kolportierten Anschuldigungen seitens der Innenministerin Mikl-Leitner von letztem Sommer. Dass die Öffentlichkeit der österreichischen Justiz erst kritisch gegenüber steht, wenn die Gerichte ihre eigene Gerichtsbarkeit in Zweifel ziehen, spricht für sich.
Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, mit welchen Mitteln hier überhaupt gearbeitet wird. Der sogenannte „Schlepperei-Paragraph“ (§114 Fremdenpolizeigetz) ist als Teil des europäischen Grenzregimes zu sehen und kann aufgrund seiner vagen Formulierung dazu benutzt werden, jede Form der Unterstützung bei einem irregulären Grenzübertritt zu kriminalisieren. Ein System, in dem manche Menschen sich gar nicht „legal“ bewegen können, produziert erst Konstrukte wie ‚Schlepperei‘, ‚Aufenthaltsehe‘, ‚Illegale Einreise oder illegalen Aufenthalt‘. Ein irregulärer Grenzübertritt ist unter gegebenen Bedingungen ohne Unterstützung kaum möglich. „Schlepperei“ wird so zu einer notwendigen Dienstleistung.
Denn eins ist sicher: So lange es Menschen gibt, die – aus welchen Gründen auch immer – gezwungen oder gewillt sind, Grenzen zu überwinden, diese Grenzen aber für sie geschlossen werden, so lange brauchen diese Menschen Unterstützung beim Grenzübertritt, solange wird es auch einen Markt für kommerzielle Formen dieser Unterstüzung geben.
Der Paragraph ist nicht so formuliert, dass er unmenschliches Verhalten juristisch verfolgen will. Sondern er kriminaliesrt Unterstützung beim irregulären Grenzübertritt an sich. Die Bedingungen unter denen diese stattfindet, spielen im Paragraphen nur eine sekundäre Rolle. In erster Linie sollen also durch § 114 die Grenzen weiter dicht gemacht, und die Solidaität zwischen Menschen gebrochen werden.
Aus diesen Gründen ist der §114 Fremdenpolizeigesetz abzulehnen. In diesem konkreten Fall wird deutlich, dass dieser Paragraph vor allem als Mittel politischer Repression gegen Menschen eingesetzt wird, die sich gegen das tödliche Grenzregime wehren.
Deshalb: Weg mit “dem Schleppereiparagraphen” §114 FPG!! Weg mit den Grenzen! Migration muss ent-kriminalisiert werden!