Wohnungsnot und Mietpreisexplosion: Die Wohnungsfrage im Kapitalismus
In sogenannten Ballungsgebieten steigen die Mietpreise unaufhörlich. An die dreißig Prozent des Nettolohns muss ein Einkommensbezieher mittlerweile für eine Behausung weg zahlen. Die Tageszeitungen rechnen vor, dass selbst das extreme Schicksal der Obdachlosigkeit nicht verschwunden ist, sondern in Österreich die neue Höchstmarke von 36 000 erreicht hat. Andererseits stehen diese Zahlen, hinter denen sich „menschliche Schicksale“ verbergen, für einen in der Marktwirtschaft absolut erfreulichen Umstand: Sie zeugen nämlich davon, dass die Eigentümer von Boden und Mietshaus ein blendendes Geschäft machen, wenn sie über ein Drittel des Einkommens der arbeitenden Bevölkerung in ihre Kassen lenken, Tendenz steigend. Ein schönes Plus, das auch der Staat gern in das Wachstum seines Standortes einrechnet.
-
Ein Stück Boden braucht jeder. Industrielle benötigen ihn als Standort für eine Fabrik, Private als Unterlage für eine Behausung. Merkwürdig ist die Verteilung der Erdoberfläche in einem modernen Staat: Viele haben nichts, einige wenig, einige wenige ganz viel davon.
-
Wie machen Grundeigentümer aus einem bloßen Flecken Erde Geld? Produktionskosten fallen dafür ja nicht an, und Pacht oder einen Grundstückspreis erzielt auch das gänzlich unbebaute Gelände.
-
Wie vollzieht sich die Preisbildung für dieses Gut? Die Erfahrung lehrt so viel: Schöne Lagen sind für den gewöhnlichen Wohnungssuchenden meistens nicht bezahlbar, bezahlbare Lagen selten schön. In guten Vierteln mit pittoresker Bausubstanz machen sich Banken, Verwaltungen und Kommerz breit. Der Rest bevölkert Wohnblocks, am Ende gar in Problemvierteln.
-
Der Sozialstaat anerkennt die allgemeine Notlage, die die Grundeigentümer damit unter der arbeitenden Bevölkerung anrichten. Mit Mietrechtsgesetzen verhindert er keine Erhöhung der Mieten, sondern er dosiert ihren Anstieg und weist ihm einen rechtskonformen Weg. Und bevor der Staat seinen Grundeigentümern angesichts mangelhafter Zahlungsfähigkeit der proletarischen Kundschaft einen Einnahmeverzicht zumutet, springt er selbst mit Wohngeld und anderen Mietzuschüssen ein.
So ist die elementare Frage nach einem Dach über dem Kopf auch nach 150 Jahren kapitalistischen Wachstums nicht erledigt. Das soll an diesem Abend geklärt werden.
P.S.: Zur Beantwortung der Wohnungsfrage empfiehlt der GegenStandpunkt zusätzlich zur Veranstaltung- weiterhin und immer noch gültig – einen Schriftsteller aus dem 19ten Jahrhundert, der für die Wohnungsnot mittelloser (arbeitender als auch studierender) Stände einen politökonomischen Grund anzuführen wusste — und einen Weg, wie man sich diese vom Hals schafft. Für den ist die Wohnungsnot:
“..ein notwendiges Erzeugnis der bürgerlichen Gesellschaftsform (…) in der … der Hausbesitzer, in seiner Eigenschaft als Kapitalist, nicht nur das Recht, sondern, vermöge der Konkurrenz, auch gewissermaßen die Pflicht hat, aus seinem Hauseigentum rücksichtslos die höchsten Mietpreise herauszuschlagen. In einer solchen Gesellschaft ist die Wohnungsnot kein Zufall, sie ist eine notwendige Institution, sie kann mitsamt ihren Rückwirkungen auf die Gesundheit usw. nur beseitigt werden, wenn die ganze Gesellschaftsordnung, der sie entspringt, von Grund aus umgewälzt wird.” (Friedrich Engels, 1872-73, Zur Wohnungsfrage, S.236; in: MEW Bd. 18, S. 209-287.)
www.gegenstandpunkt.com www.gegenargumente.at