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Die Linke übt sich zu Recht in Selbstkritik, weil sie jahrzehntelang vor allem auf Identitätspolitik gesetzt und die soziale Frage vergessen hat. Mit dieser Ausrichtung überließ sie die Deutung der großen gesellschaftlichen Konflikte den Liberalen und Konservativen. Viele Linke erhoffen sich von der Rückbesinnung auf die Klasse und ihre Kämpfe einen Ausweg aus dieser Sackgasse. Dummerweise handelt es sich bei dieser vermeintlichen Lösung aber nur um die Fortsetzung des Kardinalfehlers unter nostalgischen Vorzeichen. Als die kapitalistische Reichtumsproduktion noch auf Massenarbeit beruhte, ließ sich das gemeinsame Interesse der Lohnabhängigen noch zum Zentrum eines allgemeinen Emanzipationsprogramms machen. Unter den Bedingungen eines von der Finanzmarktdynamik getragenen und der Konkurrenz aller gegen aller bestimmten Kapitalismus ist die Beschwörung irgendeiner ominösen Klassenidentität dagegen nur noch eine nostalgische Phantasie. Ob bezahlbarer Wohnraum, Arbeitszeitverkürzung oder die Verhinderung der Klimakatastrophe, für keinen der Kämpfe, die heute geführt werden müssen, ist mit der Wiederentdeckung der Klasse irgendetwas gewonnen. Eine gemeinsame emanzipative Perspektive und die Einheit der scheinbar disparaten Kämpfe wäre ganz anders, nämlich inhaltlich herzustellen. Es ist die immergleiche Logik eines Amoksystems von der sich diese Gesellschaft befreien muss, wenn sie nicht in der Barbarei versinken will.